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Plädoyer: Privatisierung der Städte
Interview Patrik Schumacher, London 2017
Das Gespräch führten Christian Rickens und Matthias Streit.
Published in: Handelsblatt, WOCHENENDE 9./10./11. JUNI 2017, NR. 110

Herr Schumacher, wie lebt es sich denn mit als neues Enfant Terrible der Architektenszene?
Die Rolle passt mir persönlich schon ganz gut. Ich habe für meine liberalen Thesen zwar einiges einstecken müssen, aber ich habe ein dickes Fell.

Was war das Übelste, das sie zu hören bekamen?
Ich wurde als Faschist bezeichnet und in Fotos als Hitler dargestellt. Noch schlimmer hat mich aber die Sorge umtrieben, ob meine Äußerungen vielleicht geschäftsschädigend für unser Büro Zaha Hadid Architects sein könnten. Vor unserem Londoner Büro wurde demonstriert. Aber ich habe auch viel Zuspruch erhalten.

Von wem denn?
Das kam eigentlich von überall her. Überwiegend aber doch aus Asien – Indien, China, also eher Ländern, die in punkto Political Correctness noch nicht so hypersensibel sind wie wir. Zuspruch gab es aber auch aus der libertären Szene.

Kein Wunder. Ihnen geht es um die absolute Freiheit von staatlichen Regeln. Im Kern ihrer Thesen steht die völlige Privatisierung der Stadt: Sie wollen Straßen, Parks und öffentliche Plätze verkaufen und den sozialem Wohnungsbau ebenso abschaffen wie Bebauungsvorschriften.

In einem Punkt haben mich auch die Libertären kritisiert, weil ich ihnen nicht konsequent genug bin. Ich hatte in meinem Vortrag in Berlin gesagt, dass es statt sozialem Wohnungsbau lieber direkte Zahlungen an Bedürftige geben sollte. Das ist den Libertären bereits zu viel staatlicher Eingriff.

Keine Sorge, Ihre Forderung klingen auch so noch radikal genug. Sozialer Wohnungsbau ermöglicht es Menschen mit niedrigem Einkommen doch überhaupt erst, in prosperierenden Metropolen wie London zu wohnen. Fällt der weg, wird die Stadt zu einem Ghetto der Reichen. Wollen sie das?
Es stimmt schon, dass viele Wohlhabende in einer Stadt wie London wohnen. Und neben ihnen die Armen in ihren Sozialwohnungen. Aber was ist denn mit der arbeitenden Mittelschicht? Die wird völlig rausgedrängt, weil sie nicht arm genug ist, um sich für eine Sozialwohnung zu qualifizieren. Einige unserer Angestellten geben 80 Prozent ihres Einkommens aus, nur um zentral zu wohnen. Menschen wie sie wären die Hauptprofiteure meiner Forderungen.

Vielleicht müsste Zaha Hadid Architects seine Mitarbeiter besser bezahlen?
Das ist doch nicht nur ein Problem unseres Architekturbüros, und auch nicht nur von London. In vielen Metropolen drängen sich hochproduktive berufstätige Menschen in Wohngemeinschaften, weil ihr Gehalt nicht ausreicht, um sich eine eigene Wohnung zu leisten. Das sind die Menschen, die in unserer Gesellschaft für Wachstum und Fortschritt sorgen, nicht die staatlich alimentierten Bewohner der Sozialsiedlungen. Wenn wir das Wohlergehen der produktiven Mittelschicht nicht im Blick haben, gibt es irgendwann auch nicht mehr genug Geld, um Sozialfälle überhaupt zu unterstützen. Fallen künstliche Markteingriffe weg, wird endlich wieder mehr für jene Berufstätigen gebaut, die tatsächlich in der Stadt leben müssen.

Sitzen Sie da nicht einem Trugschluss auf? Wesentlich wahrscheinlicher ist doch, dass Wohnungen endgültig zu einem für Normalverdiener unbezahlbaren Spekulationsobjekt verkommen
Das Gegenteil wäre der Fall. In London zum Beispiel sorgt eine Vielzahl von Bebauungsvorschriften dafür, dass gerade nicht für die arbeitende Mittelschicht gebaut wird. Da gibt es zum Beispiel eine Mindestgröße von 50 Quadratmetern für eine Zweizimmerwohnung, und 37 Quadratmeter für eine Einraumwohnung. Die Firma Pocket Living hat inzwischen erreicht dass jetzt auch ein Raumunterteilung innerhalb der 37 Quadratmetereinheit zulässig ist, für Alleinlebende. Zusätzlich wird von den Planungsbehörden die Anzahl dieser zu grossen kleinen Wohnungen in Wohnungsbauten begrenzt. Viele junge Arbeitnehmer wären auch mit weniger Quadratmetern zufrieden, aber es darf für diesen Bedarf nicht gebaut werden. Zum Beispiel Wohnungen mit 20 Quadratmetern, aus einer früheren Zeit sind stark nachgefragt und überteuert. Die Firma The Collective nutz ein Loophole und bietet 15 Quadratmeterwohnungen in einem Shared Living Konzept an. Ein weiterer Faktor: Der ausufernde Mieterschutz schreckt Investoren davon ab, dem Bedarf entsprechend Wohnungen bauen.

Selbst wenn ihre Prophezeiung aufgeht, hätte das einen hohen Preis. Alle Bevölkerungsgruppen, die kein hohes Markteinkommen erzielen, würden aus dem Stadtbild verschwinden – Künstler, Rentner, Arbeitslose.
Die von oben verordnete soziale Durchmischung von Milieus gilt in der Stadtplanung ja als etwas Erstrebenswertes. Ich halte das für einen Irrglauben. Die meisten Menschen fühlen sich unter ihresgleichen am Wohlsten. Der Langzeitarbeitslose, der mit seiner Sozialwohnung mitten in ein wohlhabendes Viertel hineinplatziert wir, fühlt sich dort im Zweifel schlechter als vorher, weil er von den anderen Bewohnern nur als Störfaktor wahrgenommen wird. Wenn sich wohlmeinende Stadtplaner raushalten, dann können Milieus zueinander finden, die auch wirklich zueinander passen. Das heutige „Social Engineering“ halte ich jedenfalls für äußerst fragwürdig.

Und wer in Rente geht, soll gefälligst aus der Stadt verschwinden, weil er nicht mehr produktiv ist?

Er soll gar nichts, das ist seine freie Entscheidung. Aber es ist doch nun einmal so: In der heutigen Zeit verlagern sich immer mehr hochproduktive Arbeitsplätze in die Städte, weil dort jene Art von sozialen Netzwerkeffekten möglich sind, aus denen Fortschritt und Wachstum entstehen. Also müssen in der Stadt zunächst einmal jene leben, die produktiv notwendig sind. Das ist der Rentner ja nicht mehr. Er kann sich überlegen: Möchte er es sich leisten, weiter in der Stadt zu wohnen oder doch lieber raus in die Natur ziehen, wo es auch schön ist – und billiger.

Auch Künstler tragen zu einer lebenswerten Stadt bei. Was ist denn mit denen?
Die haben doch Einkommen.

Aber meist nicht genug, um sich eine Wohnung im Herzen Londons zu leisten.
Ich glaube, auf einem freien Markt wird es auch für solche Menschen Förderer geben, Wohltätigkeitsorganisationen und Stiftungen. Es kann doch keine Alternative sein, dass wir die Stadt, so wie sie heute ist, auf alle Zeit konservieren. Was soll das werden, ein Reservat? Nur weil jemand viele Jahre in einem Viertel gefördert wohnt, genießt er doch damit dort nicht das Äquivalent eines Eigentumsrechts. Wenn dem so wäre, würde damit die Bedeutung von Eigentum untergraben.

Gentrifizierung ist für Sie ein gewöhnlicher Prozess?
Natürlich! Es bringt doch nichts, Lebensformen künstlich zu erhalten, die sich selbst nicht mehr erhalten können.
Oft werden städtische Lebensformen ja genau durch jene zerstört, die sich in sie hineinkaufen.
Ja, das sind dann diejenigen, die am lautesten nach Milieuschutz schreien. Was für eine Heuchelei: Da kommen Leute, die es cool finden, eine Wohnung im Szeneviertel zu haben, um Künstler anzuglotzen. Dann kommt der nächste, der einen Künstler anglotzen will und schon beginnt der Aufschrei. Das ist ja, als wenn Sie einen Pauschalurlaub in einem Massenhotel am Mittelmeer buchen und sich dann über die vielen Touristen aufregen.

Ihr Büro liegt in Clerkenwell, einem historisch gewachsenen Stadtteil von London. Wie viel wäre von dem historischen Charme noch vorhanden, wenn ihr Privatisierungsideal schon vor 100 Jahren umgesetzt worden wäre?
Es geht ja gar nicht darum, alles platt zu machen. Auch historische Bauwerke haben auf einem freien Markt ihren Wert. Ich bin auch nicht prinzipiell gegen Denkmalschutz. Wir sollten aber einfach einmal überlegen, ob wirklich alles schützenswert ist, was wir schützen. Ein viel größeres Problem sehe ich ohnehin darin, dass sich die Planer heutzutage massiv in den Neubau einmischen. Wer hat denn den Planer beauftragt? Wer gibt ihm das Recht, den Architekten und Projektentwicklern zu bestimmen, wie groß die Apartments mindestens sein müssen, welche Art von Fenstern verbaut wird und welches Dach drauf soll? Das ist ein politisches Diktat, dass die Preise treibt und uns alle ärmer macht.

Was denn für ein Diktat? Die Regierungen, die über Bauvorschriften bestimmen, sind in Europa alle demokratisch gewählt.
Für mich wäre das bestenfalls eine Diktatur der Mehrheit, aber selbst das ist illusorisch. Nur weil Sie alle paar Jahre einer Partei ihre Stimme geben, entscheiden Sie noch lange nicht über deren Entscheidungen und die damit ausgelösten gesellschaftlichen Prozesse. Die Abgeordneten sind unzähligen Lobbyinteressen ausgesetzt. Wo bleibt da die Mehrheitsentscheidung?

Was Sie als Stararchitekt vermutlich einfach nicht wahrhaben wollen: Die Mehrheit der Bürger lebt sehr gerne in Städten, in denen nicht der Markt regiert, und die Politiker machen entsprechende Gesetze. Wenn Ihnen dieser demokratische Prozess nicht passt, können sie ja mehr direkte Bürgerbeteiligung fordern.
Das ist auch keine Lösung. Verstehen Sie, ich will all diese Machtkanäle am liebsten abschaffen, oder zumindest begrenzen. Der Markt ist eine effektivere Demokratie. Hier wählen wir mit unserem Geldbeutel und individuellen Lokalisierungsentscheidungen. So werden die wirklichen Präferenzen systematisch aggregiert und optimal beliefert. Im Markt „regieren“ wir als Konsumenten. Das ist echte Volkssouveränität.
Zu viel Bürgerbeteiligung behindert diese Dynamik nur. Wenn wir über alle Konsum- und Wirtschaftsentscheidungen politisch, d.h. kollektiv mitentscheiden wollen, dann kann nur im Gleichschritt gehandelt werden, d.h. meistens eben gar nicht. In West-Europa ist es heute ja zum Beispiel gar nicht mehr möglich, eine neue Landebahn zu bauen, geschweige denn einen neuen Flughafen.

In Peking macht ihr Büro das gerade. Ist es leichter, in autoritären Ländern zu bauen?
Ich will hier ganz sicher nicht deren Politik verteidigen. Aber schauen Sie sich doch einmal Hongkong an, wie verdichtet die Stadt ist. Daran sieht man, was freie Marktwirtschaft erreichen kann.

Mit ihren Thesen zur Unfähigkeit von Stadtplanern und Politikern würden sie in China im Umerziehungslager landen. In Europa geben Sie Interviews.

Wie gesagt: Politisch ist China sicher kein Vorbild. Aber dort in den Sonderwirtschaftszonen geht es gerade im Städtebau und der Architektur teils freiheitlicher zu als bei uns.

Mit dem Ergebnis, dass das Stadtbild von Hongkong dominiert wird von uniformen Wohnhochhäusern und lichtlosen Straßenschluchten. Ist das wirklich ihr Vorbild für die Stadt der Zukunft?

Nicht, was die architektonische Qualität der einzelnen Gebäude angeht. Aber doch im Bekenntnis zur Verdichtung. In der Zukunft werden wir viel mehr kleine Single-Studios in der Stadt brauchen. Das wird heute massiv von den Stadtplanern blockiert. Dabei sind kleinere Wohnungen auch für größere Bevölkerungsteile erschwinglicher. Hinzu kommt die absurde Einteilung der Böden nach Nutzungsart. Das verknappt den Wohnraum unnötig und führt dazu, dass der Boden für ein Wohngebäude in London viermal so viel kostet wie der für ein Büro. Das bedeuted, dass knappe Resources systematisch vergeuded werden.

Auf wie viel Fläche wohnen Sie eigentlich?

Ich habe oft auf zehn bis fünfzehn Quadratmetern gewohnt, in Wohngemeinschaften. Dann waren wir für lange Zeit zu zweit auf 70 Quadratmetern. Mittlerweile ist es ein bisschen mehr in einem innerstädtischen Reihenhaus.

Wie idyllisch. Sie waren ja früher mal Marxist, heute sind die radikaler Libertärer. Kennen sie den Spruch: Hütet euch vor den Konvertiten?

Ja, den Satz muss ich mir wohl gefallen lassen. Aber meine Vision einer städtischen Gesellschaft hat mehr mit der Vision von Karl Marx zu tun, als es auf den ersten Blick scheint.

Wie bitte? Das Angebot und Nachfrage alles regeln sollen, müssen wir bei Marx überlesen haben.

Marx hat sehr genau analysiert, wie der freie Markt die Produktivkräfte einer Gesellschaft entfesselt. Wir laufen gerade Gefahr, diese Produktivkräfte durch eine Flut von Vorschriften zu lähmen. In der Marxschen Utopie des Kommunismus tritt an Stelle des Marktes ja gerade keine staatliche Bürokratie. Der Staat stirbt vielmehr ab und ermöglicht eine Gesellschaft wirklich freier Menschen, die alles Wesentliche in selbstbestimmten Prozessen miteinander aushandeln.

Wenn die staatlichen Bebauungsvorschriften fallen, bringt das bestimmt viele neue Aufträge für ihr Architekturbüro.
Danke, aber über fehlende Auslastung können wir uns nicht beklagen. Mit meinen Thesen vertrete ich ganz sicher nicht die Geschäftsinteressen von Zaha Hadid Architects.

Sowohl die Mitarbeiter ihres Büros haben sich von ihren Äußerungen distanziert, als auch die Stiftung, die Zaha Hadids Nachlass verwaltet. Hat sie das geärgert?
Ich habe es mir nicht herbeigesehnt. Aber so wie ich haben auch andere Menschen ein Recht auf ihre Meinung. Eine Kluft in unserem Büro, wie es manches Medium und mancher Blog geschrieben hat, gibt es deswegen aber nicht.

Ist es Zufall, dass sie mit ihren Thesen so kurz nach dem Tod ihrer Lehrmeisterin an die Öffentlichkeit gehen? Tritt da jemand aus einem Schatten?
Ich habe ähnliche Dinge schon früher gesagt. Es ist wohl eher so, dass meine Äußerungen jetzt mehr Aufmerksamkeit erregen, weil ich in meiner neuen Rolle als Chef von Zaha Hadid Architects sichtbarer bin als vorher.

Herr Schumacher, wir bedanken uns für das Interview.
Das Gespräch führten
Christian Rickens und
Matthias Streit.

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